Das Schweizer Formel-1-Team Sauber ist das einzige Team einer Top-Rennserie, das von einer Frau als CEO und Teamchefin geführt wird. Seit 2012 leitet Monisha Kaltenborn die Geschicke des Formel 1-Rennteams. wheels!-Redaktorin Nadia Rambaldi traf sich mit der Österreicherin zum Gespräch über die Faszination der Formel 1 und Frauen im Motorsport.

 

Frau Kaltenborn, wie kam damals der Kontakt zu Sauber und zur Formel 1 zustande?
Der kam durch die Stelle zustande, in der ich früher tätig war, im Unternehmen der Fritz Kaiser Gruppe. Damals war der Eigentümer der Fritz Kaiser Gruppe Miteigentümer des Teams und für einige geschäftliche Bereiche verantwortlich, und an denen habe ich mitgewirkt.

 

Hatten Sie schon früher Freude an schnellen Autos oder ist das erst mit Sauber gewachsen?
Die Formel 1 ist etwas, das ich als Fan immer wieder verfolgt habe. Das liegt auch daran, dass in Österreich sehr viel über die Formel 1 berichtet wurde, als ich dort aufgewachsen bin. Die österreichischen Fahrer Gerhard Berger und Karl Wendlinger waren sehr präsent in den Medien. Übrigens kannte ich auch den Namen Sauber, aber hatte ansonsten keine grössere Nähe dazu.

 

Und dann sind Sie von der Juristin zur Team-Chefin avanciert, das war im Jahr 2012. Wie kam das?
Warum es zu diesem Wechsel kam, müssen Sie Herrn Sauber fragen. Er hat mich gefragt – und viel Zeit, darüber nachzudenken, hatte ich nicht (lacht). Wichtig ist, dass man das Ganze mit einer sehr grossen Leidenschaft angeht. Ich zeige sie vielleicht nicht immer nach aussen, aber wenn man die nicht hat, kann man so ein Team nicht führen. Wir sind kein normales Unternehmen. Die Kernkompetenz ist die Teilnahme an den Rennen, da spielen sehr viele Emotionen mit, und gleichzeitig sind sehr wichtige finanzielle und wirtschaftliche Folgen mit dem Rennausgang verbunden. Das heisst, Sie müssen im Grunde zwei Seelen mit sich rumtragen, die ständig nach der richtigen Balance suchen. Einerseits ist da die Emotionalität, die den Sport betrifft. Andererseits ist da eine nüchterne, kommerzielle Seite, wo es darum geht, das Unternehmen zu führen. Man muss für beides eine Leidenschaft haben, sonst kriegt man die nicht unter einen Hut, denn das verbindet beide.

 

Wie war das für Sie, zur Teamchefin zu werden?
Für mich ist das eine sehr grosse Ehre, eine sehr grosse Verantwortung in erster Linie. Hier etwas fortzusetzen, das Herr Sauber gegründet und so aufgebaut hat und trotz aller Schwierigkeiten doch sehr erfolgreich geführt hat. Ich meine, es gibt niemand anderen, der das in der Schweiz in der Formel 1 fertiggebracht hat. Also hat er eine einzigartige Stellung inne, und somit ist es eine sehr grosse Verantwortung, die man übernimmt.

 

Was fahren Sie privat für ein Auto?
Ich fahre einen Landrover. Das Auto betrachte ich auf der Strasse in erster Linie als Fortbewegungsmittel, als mehr nicht. Ich setze mich damit auch nicht so viel auseinander, wobei ich das Glück hatte, mit meinem Auto immer sehr zufrieden gewesen zu sein. Die Autos, die mich wirklich interessieren, sind unsere beiden Rennwagen.

 

Sie sind Juristin. Wie gross muss das technische Verständnis sein, um einen Job wie den Ihren ausüben zu können?
Technisches Wissen muss in Grundzügen da sein. Das ist der Vorteil, wenn man Jus studiert: Es ist sehr ein abstraktes Fach, und man muss sich stets in fremde Materien einarbeiten. Das bedeutet, dass Sie lernen, am Ende des Tages die richtigen Fragen zu stellen. Juristen sind in so vielen verschiedenen Berufen tätig, die eigentlich gar nichts mehr mit dem eigentlichen Studium zu tun haben. In der Finanzwirtschaft, in der Politik oder eben auch im Motorsport. Max Mosley (1993 bis 2009 Präsident des Welt-Automobilverbands FIA, Anmerkung der Red.) beispielsweise hat ebenfalls Jus studiert. Es ist sehr wichtig, dass Sie in Grundzügen wissen, was passiert, denn in all den Jahren habe ich gesehen, dass die gleichen Probleme immer wieder auftauchen. Die Techniker müssen bei Ihnen wissen, dass sie Ihnen nicht alles erzählen können.

 

Alle zwei Wochen findet ein Rennen statt. Beschreiben Sie doch kurz Ihren typischen Arbeitsablauf, von einem Rennen zum nächsten.
Ich fahre in der Regel am Donnerstag an die Rennstrecke, dieser Tag ist meistens der Medienarbeit vorbehalten. Man trifft sich mit dem Team und arbeitet auf, was zwischen dem letzten und dem anstehenden Rennen vor allem medial passiert ist. Wir bestimmen, wie wir uns zu gewissen Themen positionieren. Am Freitag beginnt dann der Renneinsatz mit dem ersten und zweiten freien Training. Zwischendurch gibt es Medientermine. In den freien Trainings sehen wir, wie konkurrenzfähig man ist im Vergleich zu den anderen. Am Samstag findet das dritte freie Training statt.

 

Wann wird die Strategie erarbeitet?
In den freien Trainings sammeln wir Daten zum Fahrzeug und zur Reifennutzung. Das ist massgeblich für die Strategie, die nach dem Qualifying bestimmt wird. Nach dem Qualifying kennen Sie die Ausgangslage fürs Rennen, dann beginnt der Teil der Strategie, die durch die Ingenieure erarbeitet wird. Dort spielen die Daten natürlich eine Rolle, die man am Freitag in den Trainings gesammelt hat. Die werden dann umgemünzt in die Strategie, vor allem mit der Ausgangslage, die man im Rennen jetzt hat durch die Startposition. Sonntag ist es gemütlicher, weil alles auf das Rennen abzielt, da ist die Spannung dafür am grössten.

 

Die Formel 1 ist eine Männerwelt, wie bekommen Sie das zu spüren, im Alltag, im Berufsalltag?
Ja, es ist eine Männerwelt, das ist auch für mich nichts Ungewöhnliches. Es gibt viele andere Welten, die genauso Männerwelten sind, die – wie ich denke – viel wichtiger sind als der Motorsport. Die gesamte Finanzwelt zu Beispiel. Die ist noch stärker von Männern dominiert. Man spürt das dadurch, dass man weniger Kolleginnen hat in dem Bereich, aber ansonsten merkt man eigentlich keine grossen Unterschiede.

 

Hat man einen Frauenbonus oder wird man als Frau sogar strenger beurteilt?
Beides. Es gibt Situationen, in denen man vielleicht eleganter aus einer Sache kommt, oder man es sich als Frau leisten kann, Dinge mit weiblichem Charme anzusprechen. Aber es gibt genauso Situationen, in denen man viel härter kritisiert wird.

 

Sie haben bestimmt schon viele beeindruckende Persönlichkeiten kennengelernt in diesen letzten Jahren. Wer hat sie bisher am meisten beeindruckt?
Das ist schwierig zu sagen. Es gibt so viele, die auf unterschiedliche Weise beeindrucken. Eine sehr interessante Persönlichkeit ist Formel-1-Chef Bernie Ecclestone. Ganz anders, aber genauso interessant finde ich zum Beispiel auch Michelè Mouton (ehemalige französische Rallyefahrerin, Anmerkung der Red.), mit der ich in der FIA bei der «Women in Motorsport-Commission» sehr eng zusammenarbeite.

 

An was liegt es, dass sich bisher noch keine Frau als Formel-1-Pilotin etablieren konnte?
An einer durchgängigen Unterstützung. Die Jungs, die in die Formel 1 kommen, wurden konsequent von Anfang an unterstützt. Wir haben Studien, in denen man sieht, dass es viele junge Mädchen gibt, die vor allem Kart fahren. Dann kommt die kritische Phase, so ab 13/14 Jahren, in der man sich schlussendlich entscheiden muss, will man das jetzt als Profi angehen oder nicht, und da fallen die meisten schon weg. Weil es an der Unterstützung des Umfelds fehlt, den Mädchen auch dieses Vertrauen mitzugeben. Da reicht es nicht, den Traum zu haben, da muss auch das Umfeld stimmen. Und das ist für mich ein gesellschaftspolitisches Thema. Es liegt sicherlich nicht am Können, es liegt nicht an der Kompetenz oder an der Konkurrenzfähigkeit. Natürlich haben Frauen andere Stärken und Schwächen als Männer. Aber meiner Meinung nach fehlt es vor allem an der kontinuierlichen Unterstützung.

 

Sind Sie selbst schon mal in einem Formel-1-Auto gesessen?
Nein. Noch nicht. Nein.

 

Sie sind verheiratet und haben zwei Kinder. Finden es ihre Kinder cool, dass die Mama Formel-1-Teamchefin ist?
Für sie ist das ja normal, nichts Aussergewöhnliches. Ausser, dass die Mutter natürlich an den Wochenenden oft weg ist. Aber sie kennen ja nichts anderes, also für sie ist das der Alltag. Aber sie beobachten mich und sagen mir auch, wenn ein Rennen nicht gut lief.

 

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit Peter Sauber, ist er noch aktiv im Geschäft beteiligt?
Er ist der Hauptaktionär der Sauber Gruppe, er ist auch der Verwaltungsratspräsident aller Gruppengesellschaften, die wir haben. Obwohl er nicht im Tagesgeschäft involviert ist, steht er immer für einen Ratschlag zur Verfügung. Das ist für mich sehr wertvoll. Es gibt kaum eine Situationen, die er in den mittlerweile 45 Jahren Rennbusiness nicht erlebt hat. Und wenn irgendwas ist und ich ihn dann frage, weiss ich, auf diesen Rat kann man sich verlassen. Man kann auch sehr vieles diskutieren. Das ist ein grosser Vorteil.

 

Kurzer Blick in die Zukunft, welche Ziele haben Sie sich für dieses Jahr und diese Saison gesteckt?
Das Ziel war ja einfach zu formulieren, nach dem letzten Jahr, nämlich, dass es besser werden muss. Wir müssen einen Schritt nach vorne machen und uns dort etablieren, wo wir üblicherweise sind.

 

Vielen Dank für das interessante Gespräch, Frau Kaltenborn.

 

 

Sauber Motorsport

Der Schweizer Motorsport-Rennstall Sauber mit Sitz in Hinwil startet von 1982 bis 1991 in der Gruppe C der FIA-Sportwagen-Weltmeisterschaft. Von 1993 bis 2005 beteiligt sich das Team an der Formel 1. Ende 2005 übernimmt Automobilhersteller BMW das Team und führt bis zum Rückzug der Marke Ende 2009 das Formel-1-Team unter dem Namen BMW Sauber F1. Ende 2009 übernimmt der Gründer Peter Sauber wieder das Team von BMW. Sauber F1 ist technisch und politisch eng mit der Scuderia Ferrari verbunden. Im Herbst 2012 übernimmt Monisha Kaltenborn das Amt als Teamchefin von Peter Sauber. In der Saison 2015 tritt Sauber F1 mit Marcus Ericsson und Felipe Nasr an.

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Fotos: Nadia Rambaldi, Sauber Motorsport