Welches ist der passende Song, wenn man in der Schweiz mit einem 539 PS starken Tesla Model S P90D unterwegs ist? Natürlich «…» Electrified, «…» der jüngste Elektro-Kracher des Schweizer Techno-Pop-Pioniers Boris Blank. Hier bitteschön als Vorgeschmack.
Der erste Kontakt
Tesla fahren ist anders. Das merke ich schon beim Einsteigen in die knapp fünf Meter lange Luxus-Limousine. Klar, der Tesla hat ein Lenkrad und zwei Pedale, präsentiert sich ansonsten im Innenraum richtig aufgeräumt, oder besser passend gesagt, clean. Keine zahllosen Schalter, Drehknöpfe und Anzeigen, wie in anderen Sport-Limousinen. Fast die gesamte Bedienung wird über ein überdimensionales Tablet gesteuert. Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase komme ich damit wunderbar zurecht. Das aufgeräumte Cockpit wirkt beruhigend auf Fahrer und Besatzung; entschleunigend, wie man heute so schön sagt. Das passt, auch wenn der Tesla auf der anderen Seite der Elektro-Klaviatur eine monstermässig böse Beschleunigungsmaschine sein kann.
Die Beschleunigung raubt dir die Sinne
Der mit einem Beschleunigungs-Upgrade ausgestattete Testwagen leistet wahnwitzige 539 PS und bietet ein irrsinniges Drehmoment von 967 Newtonmetern und hat damit gut 200 Newtonmeterchen mehr als der aktuelle Porsche 911 Turbo S. Das wirklich Wahnwitzige an der Sache ist aber, dass die beiden Elektromotoren, die jeweils Vorder- und Hinterachse antreiben, keine hohen Drehzahlen für diesen Höchstwert brauchen, nicht mal niedrige. Eigentlich gar keine. Stellen Sie sich das am besten bitte so vor: Sie sitzen gemütlich zuhause in Ihrem Lehnstuhl und auf einmal – ohne eine akustische oder optische Vorwarnung – trifft Sie mit voller Wucht von hinten eine schwingende fünf Tonnen schwere Abrissbirne und katapultiert Sie mit Ihrem Sitz nach vorne. Wenn Sie sich nicht festgehalten haben oder angeschnallt waren, dann eben ohne Sitz. In nackten Zahlen beschleunigt der weit über zwei Tonnen schwere Model S von null auf Tempo 100 in glatten drei Sekunden. Wir haben es ausprobiert, aber zum Stoppen sind wir gar nicht gekommen, so schnell geht das. Immer wieder ist man als Fahrer versucht, einer jungfräulichen Tesla-Besatzung den Beschleunigungs-Mode «Von Sinnen» vorzuführen. Der Mode heisst beim P90D wirklich so und die Reaktionen sind einfach göttlich.
Die Langstreckenfahrt
Aber der Tesla Model S P90D kann mehr als nur Beifahrer im Dreisekunden-Takt zu schocken. Das Spitzenmodell verspricht neben den höllischen Fahrleistungen auch eine Reichweite von bis zu 509 Kilometern. Natürlich muss einem bewusst sein, dass diese Kilometerleistung nur mit einem gezügelten Gasfuss, so leicht wie eine Daunenfeder, zu machen ist. Na denn, 430 Kilometer würden mir schon reichen. Das ist so ziemlich genau die Distanz von Bern nach München. Eine Strecke, die ich öfter zu bewältigen habe. Zum Glück steht in Rubigen, nicht weit weg von der Redaktion, eine Tesla-Supercharger-Station. Diese weissroten Stromzapfsäulen pressen die benötigte Power mit bis zu 120 Kilowatt pro Stunde in die kleinen Batteriezellen. Der Strom ist für Tesla-Fahrer kostenlos und das Laden kinderleicht. Einfach das dicke Kabel von der Supercharger-Station hinten am Heck einstöpseln und schon fliesst der Saft in rauen Mengen. Ein wenig Geduld muss man dafür natürlich schon haben. Vor allem, wenn man die maximale Reichweite auskosten will. Nach einer halben Stunde verspricht der Bordcomputer schon eine Reichweite von über 300 Kilometern. Aber dann wird es zäh. Vielleicht sollte ich nicht so laut Musik hören, sie wissen schon, «…» Electrified «…» von Boris Blank. Schade, denn die Anlage klingt wirklich gut, zehrt aber wie alle anderen Verbraucher vom Batterie-Pack. Nach eineinhalb Stunden sind alle E-Mails gecheckt, und ich verliere die Geduld. Das elektronische Reichweiten-Barometer zeigt 420 Kilometer an, als ich losfahre. Auf der Schweizer Autobahn schwimmt es sich wunderbar mit, so bei Tempo 120 oder leicht darüber. Fast lautlos gleite ich dahin, der Fahrtwind pfeift leise sein Lied der elektrischen Fortbewegung, und der Autopilot funktioniert auf der Autobahn vorzüglich. Doch kurz nach Zürich sinkt mein Wohlbefinden etwas. Der elektronische Reiserechner im Tesla schlägt mir vor, die nächste Supercharger-Station anzufahren und die Batterien für etwa 20 Minuten an das Kabel zu hängen. Was, jetzt schon? Na, gut, der Tesla ist eben Dein Herr und Diener zugleich. Dann mache ich in der Zwischenzeit ein bisschen Social Media und pflege die Facebook-Kontakte. Der Internet-Anschluss im Model S funktioniert gar nicht so schlecht. Das ändert sich allerdings nach dem Grenzübertritt nach Österreich. Spotify verweigert mir Peter Gabriel, und das internetgestützte Navigationssystem will auch nicht mehr so richtig. Die freundliche Dame von der Tesla-Hotline weiss Rat: «Haben Sie eine Landesgrenze überschritten?», fragt sie. «Ah ja, dann hat das System den neuen Provider nicht automatisch erkannt. Bitte einmal das System rebooten, dann sollte wieder alles funktionieren». Bei Lindau mahnt mich der Bord-Computer an, meine Reisegeschwindigkeit auf 110 und später gar auf 100 Stundenkilometer zu reduzieren. Was, jetzt auf der deutschen Autobahn ohne gängelndes Tempolimit? Wo es sich mit Tempo 150 so schön dahinrollt? Da habe ich keinen Bock drauf und ignoriere die Warnung. Das kleine Männchen im Tablet scheint das nicht zu stören. Es rechnet munter weiter und gibt an, ich müsse in Aichstetten am nächsten Supercharger noch einmal für ein Viertelstündchen Lade-Pause machen. Okay, von mir aus. Auf den letzten Landstrassen-Kilometern gebe ich dem Tesla noch einmal die Sporen. Fahrwerk und Allradantrieb sind gut austariert, aber das hohe Gewicht von über 2,2 Tonnen schränkt den Fahrspass auf kurvigen Strecken ganz schön ein. Letztendlich klappt die 430-Kilometer-Langstreckenfahrt ganz gut. Sie dauert mit dem Test-Tesla aber auch etwa eine Stunde länger als mit einem herkömmlichen Fahrzeug. Die An- und Abfahrt und die zwei Ladungen fordern eben ihren Tribut. Dafür ist die hochprozentige Strom-Dosis an den Tesla-Superchargern kostenlos und ein kurzer pioniergeistiger Erfahrungsaustausch mit anderen Tesla-Fahrern ist auch immer drin.
Electrified – Ja oder nein?
Erste Erkenntnis! Das Fahren und die Technik begeistern sogar einen Oldschool-Technik-Nerd wie mich. Einen, der sonst nur Luftsprünge macht, wenn er einen Lamborghini Miura, oder zumindest einem luftgekühlten Porsche-Boxer die Sporen geben darf. Das Model S aber nimmt einen auf andere Weise gefangen. Er «simplified your life». Wenn man zuhause über einen entsprechenden Stromzugang verfügt und keine oder wenige Strecken mit über 300 Kilometern am Stück fährt. Auf Aspekte wie Umweltfreundlichkeit und Nachhaltigkeit will ich hier gar nicht gross eingehen. Da reden sich schon genügend Spezialisten die Köpfe heiss und jeder ernsthafte Elektrofahrzeug-Interessent muss selber entscheiden, welchen Studien oder Zahlen er Glauben schenken mag. Davon abgesehen ist der Tesla Model S ein faszinierendes und gut funktionierendes Stück Technik. So gesehen haben Firmenchef Elon Musk und seine Mannschaft wirklich Pionierarbeit geleistet.
Technische Daten | Tesla Model S P90D |
Preis | Ab 139 250 Franken |
Hubraum | 2x Wechselstrom Drehstrom-Asynchronmotor |
Systemleistung | 539 PS mit Beschleunigungs-Upgrade |
Drehmoment | 967 Nm ab 0 U/min |
Antrieb | 1-Gang Automatik, Allradantrieb |
0 bis 100 km/h | 3,0 s |
Spitze | 250 km/h |
Verbrauch | 2,4 l/100 km Äquivalent-Verbrauch (Werksangabe) |
Aussenmasse (LxBxH) | 497 x 196 x 144 cm |
Ladevolumen | 745–1795 Liter |
Markteinführung | 2016 |
Konkurrenten | Mercedes S 500 4Matic (135 500 Franken) |
Vor- und Nachteile
- Sehr gute Fahrleistungen, hoher Komfort, niedrige Betriebskosten
- Niedrige Reichweite, hohes Fahrzeuggewicht
Bilder: Yves-Alain Moor